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Mit unseren Augen auf der Wiese

Wo Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Begriff „Wiese“ noch bunte Farbenpracht, Insektengebrumm, Schmetterlings-, Fledermaus- und Vogelflattern verbunden war, sind die verknüpften Bilder heute ganz anders. „Wiese“, wie Kinder von heute sie kennen, ist großteils landwirtschaftlich intensiv genutzte Produktionsfläche, oder Rasen. Hauptsache grün und ohne „Unkraut“.

Mit ungeheurem Energieaufwand und unter Einsatz von Chemie bekämpft der Mensch die natürliche Vielfalt, die ihm der Boden gerne schenken würde. Ackerränder und Hausgärten müssen „ordentlich und sauber“ sein und auf ausgedehnten Flächen „im Grünen“ fahren Tag und Nacht Rasenroboter, die sich die Gesellschaft - im Interesse ihres Ästhetikempfindens - trotz Energiekrise gerne leistet. Dafür werden bislang extensiv oder als Futterweiden genutzte unversiegelte Flächen zu Gunstzonen für Solarpaneele. Damit gehen die letzten Bereiche verloren, wo aufgrund der Hangneigung kein Maschineneinsatz möglich und wo deshalb der Boden noch weitestgehend unverdichtet war.

Der unmittelbare und unersetzbare ökologische Wert gesunder Böden und bunter Sumpf-, Streuobst- und Magerwiesen, der seinen Niederschlag in Artenvielfalt findet, wird transformiert zum Umwegwert „grüner Strom“, der seinen Niederschlag in der Steckdose findet. Pech für Insekten, Braunkehlchen, Lerchen, Wachteln und Co, die für ihr (Über)-Leben zwar keinen Strom, aber die Wiesen brauchen.

Flächen werden von Menschenhand bewirtschaftet und geformt, und der Boden ernährt uns– direkt oder indirekt. Bodennutzung - bodenschonend und mit Augenmaß - kann Leben schaffen und erhalten, solange dort, wo intensive und artenhemmende Einflussnahmen stattfinden (ohne die es bisweilen nicht gehen mag), durch Begleitmaßnahmen im unmittelbaren Nahebereich (z.B. Nachbarflächen einfach nur in Ruhe lassen!) qualitative Ausgleichsflächen entstehen, die den Lebensraum- und Artenverlust abfedern. Im Ackerbau können diese Ausgleichsflächen z.B. durch die 3-Felderwirtschaft geschaffen werden, weil sich hier eine Fläche stets „ausruhen“ darf und die Bewirtschaftung dort für zumindest eine Saison nicht mit dem Brutgeschehen von Wiesenbrütern wie Grauammer, Braunkehlchen, Rebhuhn oder Wachtel (um nur ein paar zu nennen) kollidiert und sich auf diesen Flächen wieder Wildblüten für Insekten in allen Entwicklungsstadien zeigen. Die Insekten sind nicht nur bedeutsam für die Bestäubung, sondern sie dienen auch als Nahrung für Fledermäuse und Vögel und sie stehen im Dienst der Samenverbreitung und des Schädlingsmanagements. Fruchtwechselwirtschaft ist leider nicht mehr so verbreitet wie früher – die insektenfreien sauberen Windschutzscheiben im Sommer legen ein deutliches Zeugnis dafür ab.

Auch Futterwiesen für die Viehwirtschaft können ihren Beitrag leisten, wenn sie von Ökowertflächen – z.B. Feldgehölzen und Blühstreifen – begleitet, umrahmt oder durchzogen werden, oder wenn das Mäh- und Düngemanagement entsprechend angepasst wird. (Empfehlungen für die Anlage von Hecken, Remisen, Feldgehölzen und Trittsteinen zum Downloaden)

Jeder Gartenbesitzer kann Artenvielfalt fördern, indem er einfach einmal nichts tut. Schmetterlinge sind allseits willkommene Gartenbehübschung und erfreuen mit buntem Geflatter. Wesentlich weniger Menschen möchten jedoch Eier, Raupen oder Puppen auf den Gartenpflanzen haben und die Fangemeinde der Brennnessel ist ohnehin verschwindend klein. Dass der Schmetterling nur für die kürzeste Zeitspanne seines Lebens so aussieht und lebt, wie wir ihn kennen, ist vielen Menschen nicht bewusst und dass eine Vielzahl von Schmetterlingen ohne Brennnessel, Wiesenschaumkraut, Ampfer, Disteln und Co keine Überlebenschance hat, wissen viele Gartenfreunde nicht. Wer also viele Schmetterlinge haben möchte, muss zunächst einen Raupengarten mit passenden Fraßpflanzen haben wollen – so einfach ist das. Eine kleine Auswahl dessen, was für unsere Augen schön und für so manchen Insektenfresser als Raupe oder Adulttier schmackhaft ist, findet ihr am Ende der Seite. Übrigens stammen alle Aufnahmen von ein und derselben Fläche, und es sind bei weitem nicht alle Flatterer, die dort leben. Durch einen Klick ins Foto könnt ihr die Aufnahmen vergrößern.

Aus ökologischer Sicht ist unter den gegenwärtigen klimatischen Bedingungen der geeignetste Zeitpunkt für die erste Mahd, wenn der schwarze Holler voll erblüht ist. Zu diesem Zeitpunkt sollte grundsätzlich gewährleistet sein, dass der negative Einfluss auf Arten, die für ihren Fortbestand teilweise oder ganz auf Wiesen angewiesen sind, geringer ist und die Ausfälle daher niedriger sind als zu einem früheren Mähzeitpunkt. Ganz werden sie nie zu vermeiden sein, und es soll auch nicht vergessen werden, dass die meisten Arten von sich aus auf natürliche Ausfälle eingestellt sind und daher ein Stück weit Nachkommen „überproduzieren“. Das Zauberwort ist „natürliche“.
Wenn Rebhuhn, Wachtel und Braunkehlchen in die „grüne Falle“ tappen und ihre Gelege auf Grünflächen platzieren, die von vielmetrigen Erntemaschinen zum Zweck der Energiepflanzenernte zu früh abrasiert werden, bringt das Totalausfälle – jedes Jahr wieder, und das ist in der Natur grundsätzlich nicht vorgesehen.

Einen besonderen Platz im ökologischen Werteranking nehmen Magerwiesen ein. Wie der Name schon ausdrückt, haben sie in Summe einen niedrigeren Energiegehalt als die sogenannten „Fettwiesen“ (Futterwiesen), weil sie nicht gedüngt werden. Sie zeichnen sich jedoch durch eine ungleich höhere Artenvielfalt aus und sie erfreuen uns mit einer Vielfalt an Blütenfarben. Die intensiv gelbe Löwenzahnwiese mag zwar hübsch ausschauen und dicht mit Pflanzen bewachsen sein – das „Viel an Pflanzen“ kann das „Viel an PflanzenARTEN“ ökologisch leider nicht ausgleichen.
Magerwiesen gibt es in unterschiedlichen Typen, weil die Artenzusammensetzung vom Untergrund, der Höhenlage, den Lichtverhältnissen und den klimatischen Bedingungen abhängt. Allen Typen gemeinsam ist der entschleunigte Produktions- und Erntezyklus, weil Magerwiesen nicht wie Hochleistungs- und Energieproduktionsflächen (z.B. Fettwiesen) stakkatoartig gedüngt, abgeerntet und wieder gedüngt werden - dies natürlich zumeist, um die Winterversorgung von Nutztieren (Heu, Silage, Heulage) sicherstellen zu können.

Diese Fettwiesen müssen also ständig sehr viel Energie produzieren, was sie nicht aus eigenem Antrieb schaffen können, sondern nur noch mit künstlicher Energiezufuhr (auch die Ausbringung von Mist, Gülle und Jauche erfolgt künstlich!). Nicht zu verwechseln ist die Fettwiese mit der Fettweide, die durch direkte Beweidung entsteht und die sich durch die unmittelbare mechanische (Tritt, Lager) und chemische (Pferdeäpfel, Kuhfladen, Schafmist) Einflussnahme der Tiere sehr uneinheitlich im Erscheinungsbild zeigt. Was dem Einen „zerrupft“, „niedergetrampelt“ oder „Gstätt´n“, ist dem Andern ein bunter Strauß an Klein- und Kleinstlebensräumen, der unzählige unterschiedliche Bedürfnisse abdeckt. Die Artenvielfalt ist also auch auf der Fettweide, wo z.B. Nutztiere sich frei bewegen dürfen, hoch.
Auf einer häufig bis zur Bodenkrume gemähten und regelmäßig anschließend mittels schweren Geräts gedüngten landwirtschaftlich genutzten Fettwiese ist sehr viel und überall gleichförmig verteilt Nährstoff vorhanden, damit durch den künstlichen Nährstoffeintrag wenige gezielt geförderte Pflanzenartenarten mit gleichen Lebensraumansprüchen in hoher Individuendichte nebeneinander wachsen können.

Windräder auf Almen und Freiflächen-Fotovoltaikanlagen in jedweder Höhenlage mögen als Mahnmale für Fehlentwicklungen aufgrund der gesellschaftlichen Maßlosigkeit dienen, weil im Grunde genommen wollen wir uns mit unbelasteten Freiflächen umgeben. Jedes menschliche Individuum ist als Teil der Gesellschaft letztendlich Auftraggeber für jedwede Entwicklungsrichtung – vergessen wir also unsere individuelle Verantwortung nicht.

Individuenausfälle durch Flächennutzung lassen sich nicht verhindern, jedoch kann man sie – sowie ganze Artenausfälle - mit ein wenig Rücksichtnahme minimieren. Die Natur dankt uns das mit gesunder Vielfalt.

Flächenbesitz – sei er groß oder klein - ist mit großer Verantwortung verbunden. Nur wer noch Bodenhaftung hat, ist geerdet genug, um der Verantwortung gerecht werden zu können.

Den Text könnt ihr hier downloaden, und die Fotos, wie oben schon erwähnt, durch einen Klick ins Bild vergrößern.

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